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Ich bin Architektin und Nudelsuppenköchin. Ich denke, beide Arbeiten verbinden sich in der Suche nach Atmosphäre und Orten, wo man gerne ist oder isst. Dabei geht es um Ästhetik, aber auch um Kultur, um das Gefühl für die Rohstoffe, die man verarbeitet, und um die Bedürfnisse der Menschen. Als Architektin gestalte ich den Raum so, dass man sich darin wohlfühlt. Als Köchin tische ich feine und schöne Suppen auf. Für mich gehört das zusammen. Dies habe ich Japan in verschieden kleinen Restaurants erlebt, wo Essen und Raum zusammen die besondere Atmosphäre erst ausmachen.

Als ich mein Zweitstudium begann, wollte ich nicht daneben als Architektin arbeiten, da wäre ja zweimal vor allem der Kopf beschäftigt. Bei meiner Arbeit im Restaurant ist es anders. Ich gehe hin und arbeite, alles passiert im Moment und wenn ich rausgehe, ist Schluss, ich nehme nichts mit nach Hause. Im Nudelsuppen-Restaurant hatten sie eine Stelle ausgeschrieben und ich dachte, wenn ich das jetzt nicht ausprobiere, werde ich es für immer bedauern. Einen Tag konnte ich probearbeiten. Ich habe genau zugeschaut, während der Küchenchef mir die einzelnen Schritte genau erklärt hat, und dann schnell mit angepackt: Nudeln gekocht, die Brühe angerührt und die Beilagen darüber angerichtet. Und schon hatte ich den Job. Eigentlich ist die Arbeit sehr repetitiv, es ist immer der gleiche Ablauf. Bevor die Gäste kommen, macht man die Mise en Place, alles wird vorgeschnitten oder vorgekocht. Die Pasten werden nach einem Hausrezept zubereitet, an dem ständig weitergetüftelt wird. Auch andere Rezepte sind Betriebsgeheimnisse, unser Tonkotsu zum Beispiel. Diese Brühe wird nicht in der Restaurantküche hergestellt, weil die Schweineknochen stundenlang köcheln müssen, das lässt sich mit dem Küchenbetrieb nicht unter einen Hut bringen. Das Rezept zu entwickeln hat sehr lange gedauert.

Ich mache die Arbeit sehr gerne, obwohl oder weil sie repetitiv ist, sie ist ein perfekter Ausgleich zur Arbeit als Architektin. Die Karte ist klein, was man macht, macht man gut und aus guten Rohstoffen. Ich weiss, was mich erwartet, und kann mich voll auf die Zubereitung der Suppe konzentrieren. Es ist eine ständige Balance zwischen Effizienz und Sorgfalt. Als ich anfing, hat mir der Küchenchef immer wieder erklärt, wie ich noch schneller werden kann. Sein Stellvertreter war damals ein Japaner, der war anders, hat ganz genau hingeschaut und gesagt, das musst du noch schöner anrichten. Einmal ist mir ein Sesamkörnchen, das dort nicht hingehörte, in eine Suppe gefallen, und er meinte, ich solle sie neu machen. Für ihn war wichtig, dass die Arbeit mit Sorgfalt erledigt wurde, dann kam man mit ihm gut zurecht. Es war faszinierend zu erleben, wie er seine Arbeit verstanden hat.

Interessant wärs, einmal in Japan in einer Küche zu arbeiten. Bisher habe ich dort nur als Praktikantin in einem Architekturbüro gearbeitet, auch da war man äusserst genau. Ich habe Modelle gebaut, alles musste perfekt sein, man hat kleine Schwämmchen grün eingefärbt als Büsche und kleine Menschlein im Massstab 1:1000 mit Pinzetten ins Modell gesetzt. Ist das ähnlich wie bei den Nudelsuppen? Die japanische Kultur hat diesen extremen Fokus auf Qualität, man versucht ein Leben lang immer besser zu werden. Das Wort Ikigai beschreibt, dass man sich mit voller Leidenschaft einer Sache hingibt und sich immer weiterentwickelt. Ist die Suppe oder die Architektur mein Ikigai, oder beides?

In der Küche habe ich gelernt: du musst ordentlich und strukturiert vorgehen. Wenn alles sauber vorbereitet ist, läuft es danach fast mühelos. Eine Suppe ist, mit Liebe gemacht, in drei Minuten fertig. Für den Prozess und die Arbeitsstruktur in der Architektur habe ich davon sicher profitiert. Da geht es lange, bis man merkt, wenn man Anfang etwas nicht sauber aufgegleist hat. Falls die Küche oder das Japanische einen Einfluss auf meine Entwürfe hätte, wäre das eher subtil, es ist einem ja nicht immer bewusst, woher eine Idee kommt. Aber jetzt, wo ich diese Geschichte erzähle, merke ich, wie stark diese beiden Bereiche für mich miteinander verwoben sind.

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Stories for future wurde von Moritz Jäger und Gabi Hildesheimer von Tsuku ins Leben gerufen. Die Stiftung Mercator Schweiz unterstützt das Projekt mit einem finanziellen Beitrag. Weitere Interessenbindungen bestehen nicht.

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