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Wenn ich etwas brauche, gehe ich oft zuerst ins Brockenhaus. Für Kleider und andere Dinge, Teller, Tassen, Ersatzpfannen. Oft auch Sachen, die man in normalen Läden gar nicht findet. Kleider aus schönen Stoffen zum Beispiel, die vielleicht mal sehr teuer waren. Wenn mir der Schnitt nicht gefällt, ändere ich die Kleider ab, mal aufwändiger, mal tausche ich einfach die Knöpfe aus. Bei Brocki-Kleidern habe ich überhaupt keine Hemmungen, kreativ zu sein. Ich habe Narrenfreiheit! Wären die Dinge teurer, hätte ich sicher Hemmungen, sie zu zerschneiden oder so.

Die Dinge im Brockenhaus haben alle eine Geschichte, da habe ich viel mehr Freude, als wenn ich etwas beim Detailhändler kaufe. Ich stosse auf Sachen, von denen ich gar nicht wusste, dass es sie gibt. Wenn ich etwas nicht mehr brauche, gebe ich’s zurück. Wegwerfen fällt mir schwer, aber ins Brocki bringen, das geht. Ich behalte auch meistens gut im Kopf, welche Dinge ich besitze. Mein Mann hat einmal einen Test gemacht und etwas weggeworfen – innerhalb eines Monats hab ich’s gemerkt.

Im Brocki einkaufen braucht auch Geduld, denn es hat nicht immer das, was man sucht. Für spezifische Sachen muss man schon mal ein bis zwei Jahre warten. Ich nehme auch Aufträge von Bekannten an. Es macht mir ausserordentlich Freude, wenn ich dann für jemand etwas finde, zum Beispiel eine Spitzmaschine, Teller mit Goldrand oder eine Gelte. Meine Schwester sammelt Rauenstein-Geschirr, das ist so bäuerisches, blauweisses Geschirr. Ich fand einmal unter einem Stapel billiger Teller völlig überraschend zwei Rauenstein-Teller. Ich habe die für je fünfzig Rappen bekommen, sonst kosten die dreissig bis vierzig Franken. Beim nächsten Besuch habe ich meiner Schwester als Überraschung auf den Tellern Guetzli serviert. Die Teller gab’s dann quasi dazu.

Das Brocki ist für mich wie ein Eintauchen in eine andere Welt. Die Menschen und die Stimmung sind anders als sonst wo in der Stadt. Manchmal versuche ich etwas runterzumärten, etwas, wozu ich normalerweise Hemmungen hätte. Je nach Kassiererin habe ich manchmal auch Erfolg damit, falls sie grad gute Laune hat. Das Brocki ist voll von Geschichten, man sieht all die verschiedenen Sachen und es entstehen neue Geschichten. Wenn ich schlechte Stimmung habe komme ich hierher, hier komme ich auf andere Ideen und bekomme bessere Laune.

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Die meisten Geschichten entwickeln sich in einem Gespräch und wir schreiben sie auf. Manche Geschichten werden uns zugeschickt, auf Einladung oder spontan. Bislang haben wir die Geschichten nicht systematisch gesucht – sie ergeben sich durch spontane Kontakte, Empfehlungen und Zufälle.

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Stories for future wurde von Moritz Jäger und Gabi Hildesheimer von Tsuku ins Leben gerufen. Die Stiftung Mercator Schweiz unterstützt das Projekt mit einem finanziellen Beitrag. Weitere Interessenbindungen bestehen nicht.

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