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Die Frontscheibe meines Handys war in Trümmern, aber es funktionierte noch. Meine Kollegen rieten mir, ein neues Handy zu kaufen, weil es mit seinen über vier Jahren ja schon uralt sei. Ich wollte dem Rat folgen und schaute mir das Fairphone an. Man riet mir ab: Ich hätte ja nicht gerade eine Liebesbeziehung zu Handys, dann sei es schlauer, wieder ein iPhone anzuschaffen. Mein altes Telefon hatte ich von meinem ehemaligen Arbeitgeber bekommen, ich selber hätte es nicht gekauft, die schlimmen Arbeits- und Umweltbedingungen in der Fabrik hätte ich nicht unterstützen wollen. Ich zögerte solange mit dem Ersatz, bis ein junger Freund meinte, er helfe mir das alte Teil zu flicken. Bei der Gelegenheit könne man auch gerade den Akku ersetzen, dann sei die Sache so gut wie neu.

Er bestellte die Ersatzteile und ich rieb unterdessen weiter auf der kaputten Glasplatte herum, was mir mehr als einen Splitter im Finger einbrachte. Dann kam der Flickabend. Im Lieferumfang des Flick-Pakets war auch ein Werkzeugset mit «mikrochirurgischen» Tools. Im Netz gibt es für Akkuwechseln und Frontscheibenersatz Schritt-für-Schritt-Anweisungen. Die ersten circa zehn Schritte, Öffnen des Geräts, Auseinandernehmen der oberflächlichen Komponenten und so weiter, hatten wir ziemlich schnell erledigt und das gab uns Selbstvertrauen. Manche Arbeitsschritte brauchten vier Hände, zwei Pinzetten, einen Schräubchenzieher und sogar den Föhn. Wir wechselten erfolgreich den Akku. Für den Ersatz der Frontscheibe gab es zwei Optionen, eine kurze und eine lange. Natürlich haben wir die kürzere gewählt. Etwa eine Stunde nach dem Start der Aktion war alles fertig.

Wir haben uns auf die Schulter geklopft, ein Bier getrunken und dann packte ich das Handy ein und ging. Aber halt! Noch bevor ich aus der Türe war, habe ich gemerkt, dass die Manteltasche brandheiss war. Der Patient wurde schnellstens erneut operiert. Drei Stunden dauerte der zweite Eingriff. Wir mussten die Anschlüsse für Kamera, Lichtmessung etcetera von der alten auf die neue Scheibe übertragen, ein Käbeli-Salat in genau definierter Schichtung. Ich hätte nie im Leben erwartet, dass ich so eine Feinarbeit packen kann, nicht einmal als “Operationsassistentin”. Auch für meinen Freund, der sich mit normaler Computer-Hardware auskennt, war es eine Premiere in so kleinem Massstab zu arbeiten. Wir waren sehr zufrieden mit uns. Das Handy funktioniert auch Monate nach dem Eingriff perfekt und ich behüte es besser als vor dem Unfall.

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Stories for future wurde von Moritz Jäger und Gabi Hildesheimer von Tsuku ins Leben gerufen. Die Stiftung Mercator Schweiz unterstützt das Projekt mit einem finanziellen Beitrag. Weitere Interessenbindungen bestehen nicht.

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