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Die Klimaseniorinnen bringen mich immer wieder zum Staunen. Dass aus der Idee von wenigen Menschen so etwas entstehen kann, eine grosse Bewegung, bei der viele Menschen mit Herzblut mitmachen, ist für mich unglaublich schön.

Den Ausschlag gab 2015 ein Gerichtsurteil in Holland, das die Regierung dazu verpflichtete, mehr für Klimaschutz zu tun, um die Grundrechte der eigenen Bürgerïnnen zu schützen. Dass die Klage von rund 900 Zivilistïnnen Erfolg hatte, war eine weltweite Sensation. In der Schweiz kann in einem solchen Fall nur klagen, wer eine besondere Betroffenheit nachweisen kann. Die zunehmenden Hitzewellen setzen älteren Menschen stark zu. Unsere Analysen zeigten, dass ältere Frauen noch stärker betroffen sind als Männer. So kamen wir auf die Idee, die KlimaSeniorinnen aufzubauen.

Ich hatte Glück, dass ich für Greenpeace arbeite und genügend Wissen und Ressourcen bekam, um mit einem hoch motivierten Anwaltsbüro den Aufbau der Schweizer Klimaklage aufzugleisen. Als die rechtliche Analyse vorlag, ging es dann schnell. Schon bald sassen wir in einem Gemeinschaftsraum mit zehn Seniorinnen. Dieser Moment war ganz speziell. Alle waren Feuer und Flamme. Ernst und bestimmt haben sie gesagt, wir verklagen die Schweiz. Die Kassiererin vom neugegründeten Verein bedankte sich und sagte: ich habe nie gedacht, dass ich nochmals so aktiv werde. Aber hier kann endlich wirklich etwas passieren, deshalb engagiere ich mich. Jemand hat sie mal gefragt: seid ihr nicht von den Umweltschützern instrumentalisiert? Sie haben gesagt: nein, im Gegenteil, wir haben uns die unter den Nagel gerissen!

Heute sind es fast 2000 Seniorinnen, die den Fall mittragen. Wir sind auch Teil einer weltweiten Bewegung, zusammen mit Leuten aus Südafrika, Norwegen oder den Philippinen. Weltweit laufen mehr als 1200 Klagen. Wenn Regierungen oder die Wirtschaft unsere Grundrechte nicht schützen, muss man auf die Justiz zurückgreifen. In allen möglichen Medien wurde über uns berichtet. Wir vermitteln, dass Klimaschutz mit Menschenrechten zu tun hat, dass es auch darum geht, die Gesundheit der Menschen im Hier und Jetzt zu schützen.

Es ist für mich sehr schön, Teil von etwas Grossem zu sein, vom einem Schweizer Projekt mit globaler Dimension. Vielleicht ist dieses Teilsein von etwas Grossem sogar eine Grundbedingung des Glücks für mich. Es geht darum, für andere da zu sein, was nur funktioniert, wenn es um mehr als nur um mich selbst geht. Das kann die Familie sein, die Gemeinschaft, andere Lebewesen, die Welt oder ein Baum. Ich erlebe das in meiner Arbeit als Umweltschützer und auch in meiner Arbeit auf unserem Hof. Hier arbeite ich ganz konkret, mit den Händen, mit Pflanzen, Tieren und Menschen. Dabei habe ich nicht das Gefühl, ich müsse Arbeit von Freizeit trennen, es geht einfach darum erfüllt zu leben. Dass ich in all meinen Tätigkeiten derselbe Mensch sein kann, ist mir wichtig für die Lebensqualität.

Den KlimaSeniorinnen steht nun die grösste und letzte Etappe bevor. Am Bundesgericht wurde unsere Klage abgewiesen. Jetzt kommt die Klage vor den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und ist da eine der ersten Klimaklagen überhaupt. Der Frust des Nicht-Gehört-Werdens von den Schweizer Gerichten hat sich in einen potentiellen Präzendenzfall entwickelt, der weit über die Schweiz hinaus wirken kann. Aus dem «Oh shit, wir hatten kein Glück» ist jetzt ein potentieller Once-in-a-Lifetime-Fall geworden.

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Die Geschichten widerspiegeln nicht immer unsere Meinung; und die Geschichtenerzählerïnnen sind wohl auch nicht immer einer Meinung.

Stories for future wurde von Moritz Jäger und Gabi Hildesheimer von Tsuku ins Leben gerufen. Die Stiftung Mercator Schweiz unterstützt das Projekt mit einem finanziellen Beitrag. Weitere Interessenbindungen bestehen nicht.

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