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Turnen ist für mich einfach schön. Auf dem Trampolin kann ich fliegen. Wenn es richtig passt, ist alles ganz leicht. Ich kann die überschüssige Energie rauslassen, den Frust von der Schule vergessen, mich beruhigen, wenn ich einen schlechten Tag hatte, und dann werde ich glücklich.

In meiner Schule schauen sie darauf, dass jeder nachkommt. Ich bin nicht gerade die beste, vor allem Lesen ist gar nicht meine Stärke. Manchmal hänseln mich die anderen deswegen. Ich habe lange kein einziges Buch, das wir in der Schule lesen mussten, bis zum Schluss geschafft. In der vierten Klasse habe ich «Miss Hippie» fertiggelesen. Da hatte es Lücken, die man ausfüllen musste, das wurde kontrolliert und darum habe ich das Buch bis zum Schluss gelesen. Jetzt habe ich von Dürrenmatt «Der Richter und sein Henker» gelesen und eine Zusammenfassung geschrieben, fast zwei ganze Seiten mit Schriftgrösse elf. Französisch habe ich auch total gerne, ich möchte es wirklich verstehen und reden können. Darum schaue ich mir Filme auf Französisch an, auch das finden die anderen schräg und lachen mich aus. Oder dass ich mich solange mit dem Zeichnen eines Bildes beschäftigen kann, dass ich dranbleibe, bis es so ist, wie ich es mir vorstelle, das verstehen sie auch nicht. Aber in der letzten Zeit ist es mit dem Hänseln eher besser geworden. Schau, solche Bilder mache ich. Erkennst du, wer das auf dem Bild mit den roten Zöpfen ist? Ich habe der früher immer «Pipi Stumpf» gesagt.

Mit zehn oder elf habe ich richtig mit dem Trampolin angefangen und schnell gemerkt, dass ich sehr beweglich bin. Am besten war ich mit dreizehn. Seither hatte ich zwei Verletzungen und ich musste pausieren. Schlimm war die Nervenquetschung, das war wir tausend Nadeln im Fuss, wenn du abstehst. Ich war zwei Monate auf Krücken – das ist witzig, tönt wie «auf Drogen»! Als die Ärztin sagte «das haben sonst eher ältere Leute» fühle ich mich richtig alt, aber dabei bin ich ja erst fünfzehn. Seit einem Jahr geht es langsam besser, aber auch heute kribbelt es noch bei bestimmten Belastungen. Ich habe dann Angst, dass es wieder schlimmer wird, und das hemmt mich. Aber ich mach weiter, klar.

Ein Training sieht zum Beispiel so aus: Grätsch, Überschlag, Salto vorwärts, rückwärts und gesteckt, das Rad ohne mit den Händen abzustützen, ein Rückwärts-Bürzelbaum in den Handstand, dann sowas wie ein Köpfler mit Salto am Schluss, gesprungener Salto, Spagat-Sprung. Bei den andern sieht es immer so leicht aus. Das beeindruckt mich und ich will es auch immer noch besser können.

Im Sommer ist die Schule vorbei, dann will ich ein Welschland-Jahr machen. Ich hoffe, eine Familie zu finden, die mit mir klarkommt und auf meine Bedürfnisse eingeht. Und dann möchte ich einen Beruf lernen, der mit Sport und Ernährung zu tun hat, oder vielleicht doch lieber Coiffeurin? Ich bin recht ehrgeizig und zuversichtlich, dass ich etwas Tolles lernen kann.

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Stories for future wurde von Moritz Jäger und Gabi Hildesheimer von Tsuku ins Leben gerufen. Die Stiftung Mercator Schweiz unterstützt das Projekt mit einem finanziellen Beitrag. Weitere Interessenbindungen bestehen nicht.

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