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Ich bin Italienerin, aus dem Südtirol. Also ich spreche deutsch, woanders meinen manche es sei ein Schweizer Dialekt, aber ich bin Ausländerin. Jetzt musste ich eine Vollmacht erteilen, damit meine Mutter eine Liegenschaft, überschreiben kann. In Sachen Bürokratie bin ich als Italienerin ein gebranntes Kind und habe mir darum einen ganzen Vormittag reserviert, um zwei Amtsstellen zu besuchen und das Dokument dann abzuschicken.

Zuerst hatte ich mich telefonisch erkundigt, um herauszufinden, wie es genau funktioniert, und auch wegen einem Termin, man weiss ja nie seit Corona. Ich könne jederzeit kommen, es würden einfach nicht mehr als zwei Personen eingelassen, aber es kämen sowieso sehr wenige. Die Frau war so nett, ich hätte sie am liebsten zu einem Kaffee eingeladen. Kurz vor neuen stand ich dann vor der Türe des Notariats in Oerlikon und gefühlte zwei Minuten später mit den nötigen Unterschriften und Stempeln wieder draussen. Weil meine Vollmacht mehr als eine Seite umfasste, musste das Dokument mit einem blauen Schleifchen zusammengeheftet werden, und darauf kam wiederum ein Siegel aus Papier und darauf ein Stempel. Die Frau hatte das Gebastel hinten im Raum erledigt und beim Mäschlein machen noch mit einer Kollegin gescherzt. Sie brachte mir das fertige, nun doppelt beglaubigte Werk, ich bezahlte dreissig Franken. Weil der italienische Staat wissen muss, ob diese Stempel und Unterschriften auch von einer dafür berechtigten Stelle stammen, braucht es eine sogenannte Überbeglaubigung, die Italiener nennen das eine Apostille, das tönt viel netter, oder? Dafür muss man zu Staatskanzlei, die bestätigen soll, dass die vorherige Bestätigung rechtens sei. Ich fuhr also ins Stadtzentrum.

Bei der Staatskanzlei war es wieder ganz unglaublich. Eine Person war vor mir dran, aber ich wartete weniger als eine Minute. Dann durfte ich mein Dokument abgeben. Man fragte mich, ob die Bestätigung auf Italienisch ausgeführt werden solle, obwohl der Text im Dokument ja Deutsch war, also die Frau hat richtig gut mitgedacht. und war vor halb zehn Uhr wieder draussen. Ich musste gleich Mama anrufen und ihr diese unglaubliche Geschichte erzählen. Wir werden noch lange davon schwärmen!

PS: Kurz vor Publizierung dieser Geschichte schickte uns die Erzählerin folgendes Update:
«Die Apostille wurde falsch ausgestellt, in der Hektik des reibungslosen Ablaufes ging ein wichtiges Detail wohl vergessen. Nun fängt der Spass von vorne an. Die Schweizer Behörden sind wohl trotz aller Sympathie dem italienischen Chaos nicht so unähnlich. Zum Glück habe ich dafür eine dicke Haut. Es bleibt zu hoffen, dass nicht aller guten Dinge drei sind.

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Stories for future wurde von Moritz Jäger und Gabi Hildesheimer von Tsuku ins Leben gerufen. Die Stiftung Mercator Schweiz unterstützt das Projekt mit einem finanziellen Beitrag. Weitere Interessenbindungen bestehen nicht.

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