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Heute haben wir uns über die Klimastreikenden unterhalten und darüber, wie weit wir selber gehen würden im Kampf für eine wichtige Sache. Dazu kam mir eine alte Geschichte in den Sinn. Ich war in Deutschland auf der Uni, als Studiengebühren eingeführt werden sollten. Man wollte etwas dagegen machen und ein paar Dutzend Leute haben dann die Uni besetzt. Ich auch. Ich hatte Lust, einmal etwas richtig Radikales zu tun und kam mir ziemlich revolutionär vor. An den Erfolg glaubte ich zwar nicht so ganz, aber trotzdem fand ich es gut, dabei zu sein.  

Wir sind einfach an einem Abend, als das Gebäude geschlossen wurde, nicht rausgegangen. Wir sassen da und die Unileitung kam ein paar Mal und sagte, wir sollen bitte gehen. Sie müssten uns sonst durch die Polizei entfernen lassen. Wir warteten ab. Spät in der Nacht sahen wir Schatten vor den Fenstern und wussten, dass nun die Räumung bevorstand. Es entstand eine Diskussion, wie wir uns verhalten sollten. Einige von uns wollten, dass wir uns mit den Armen unterhaken und es damit schwerer machen sollten, uns einzeln abzutransportieren. Die Polizisten kamen und sagten, dass es halt einfach mühsamer, langwieriger und eventuell auch schmerzhafter werden könnte, wenn wir uns aneinander festklammern. Aber die Mehrheit wollte das gar nicht.

Ich wurde schliesslich von zwei Polizisten aus dem Raum getragen. Bei der Treppe setzten sie mich ab und fragten, ob ich nicht lieber laufen wolle. Sie boten an, dass sie mich dann vor dem Ausgang wieder tragen würden, dort wo die Presse und die Zuschauer es sehen. So haben wir es auch gemacht. Ich fand es angenehmer für beide Seiten, und die Polizisten waren auch sehr nett. Sie meinten, dass sie es richtig fänden, gegen die Studiengebühren zu demonstrieren, und wenn sie nicht bei der Polizei wären, würden sie vielleicht sogar mitmachen. Sie haben mich also vor der Uni ein Stück weit getragen, die Fotografen haben ihre Bilder bekommen und dann wurde ich von einem anderen Team im Auto nach Hause gefahren. Man wollte uns vermutlich einfach so weit wie möglich forthaben. Auch auf der Heimfahrt war die Unterhaltung sehr freundlich.

Meine Mitbewohnerin wurde ebenfalls nach Hause gebracht, aber diese Polizisten waren ziemlich aggressiv und haben sie angeschnauzt wegen den Kosten, die durch die Besetzung entstanden seien. Auch andere Mitstreiter haben berichtet, dass sie zum Teil recht ruppig oder herablassend behandelt wurden. Wir haben uns gefragt, ob ich einfach Glück hatte mit meinen Polizisten, oder ob es an meiner sehr grossen Kooperationsbereitschaft lag. Wahrscheinlich war es eine Mischung von beidem.

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Stories for future wurde von Moritz Jäger und Gabi Hildesheimer von Tsuku ins Leben gerufen. Die Stiftung Mercator Schweiz unterstützt das Projekt mit einem finanziellen Beitrag. Weitere Interessenbindungen bestehen nicht.

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